Kapitel 8: Eine Art Banken-Hasser

Wir standen in der kurzen Schlange der Stadtsparkasse-Filiale Kirchditmold. Die ältere Bankangestellte begrüßte meine Mutter mit Namen. Schaute kurz nach unten. Vor ihr waren eine Reihe von Holzfächern, dort die Kontoauszüge eingeordnet. Die Frau kannte die Kontonummern aller Kunden auswendig.

Meine Mutter war inzwischen am Auszahlungsschalter angelangt. Dort stand hinter dicken Scheiben ein Mann in Anzug und Krawatte, vor sich eine Schublade. Mit einem Hebel bewegte er diese von sich weg, unter der Scheibe hindurch, zum Kunden. Meine Mutter legte den gelben Auszahlungsschein hinein. Die Frau am ersten Schalter hatte dort die gewünschte Summe eingetragen, die der Mann nun auszahlte. Schublade. Hebel. Es machte »Schmack.« Meine Mutter nahm das Geld entgegen. Wir verließen die Bank.

Mit meinem Vater bin ich nur wenige Mal überhaupt in der Sparkasse gewesen. Seine Filiale war genau gegenüber des Firmengebäudes, eine kleine Treppe führte in den ersten Stock. Die Atmosphäre war dort anders als bei meiner Mutter. Wir traten ein, es wurde irgendwie stiller, ein Mann kam auf uns zu. Begrüßte uns mit Handschlag.

Die Bank schickte meinem Vater zum Geburtstag jedes Jahr einen großen Blumenstrauß. Als Sechsjähriger war ich hocherfreut über diese Geste des, mir damals noch unbekannten Spenders. Mein Vater klärte mich auf: »Der ist von der Bank. Die wünschen mir ein langes Leben, damit ich die Kredite auch fleißig zurückzahle.«

So waren nun die Fronten geklärt. Mit Banken wollte man nichts zu tun haben, doch es gab keine Alternative. Im Familienunternehmen wurde man zwangsläufig zum Bankenhasser, denn der Banker bedrohte das höchste Gut des Selbstständigen - seine Freiheit. Die Freiheit der Entscheidungen, die Freiheit, Nein zu sagen. Alles außer Kraft gesetzt bei den Kreditgesprächen. Bis heute bin ich eine Art Bankenhasser, mein Sohn ist es auch. Die Berechnung von Gebühren empfinden wir als persönliche Beleidigung. Briefe fassen wir nur mit spitzen Fingern an.

Ich lernte in den Banken eine andere Freundlichkeit kennen, an der ich mich bis heute störe. Niemals würden sich der Bankdirektor und mein Vater im Privaten begegnen und sich auf diese Art und Weise unterhalten. Der Platz des jeweils anderen war immer woanders. Sie umkreisten sich, überbetont freundlich. Unnatürlich ergeben. Irgendwie falsch.

Einmal im Jahr wurde der Spieß umgedreht. Beim Besuch einer anderen Bank als der Sparkasse. Niemals ist die Kreditbank auch die Bank für die Verwaltung des Vermögens. So lautete die Regel, die ich als 18-jähriger mit auf den finanziellen Lebensweg bekam. Als mein Vater in der fortgeschrittenen Demenz seine Depotauszüge nicht mehr prüfen konnte, bestand er trotzdem auf den jährlichen Besuch in der Bank am Königsplatz. Am wichtigsten war die Tasse Kaffee. Endlich musste die Bank mal etwas gratis herausrücken - außer den Spardosen zum Weltspartag. Ich sah deutlich, wie meinen Vater das befriedigte.

Das und früher das Bewusstsein, jederzeit die Ersparnisse abziehen zu können. Die Freiheit zu besitzen, das zu tun. Die späte Rache an allen Bankern, die doch überhaupt nicht frei waren. Meine Abneigung gegenüber Banken hat seinen Ursprung in der Beobachtung des Verhaltens meines Vaters. Mein Freiheitsdenken wahrscheinlich auch.Mein Vater war da wahrscheinlich ein doppeltes Vorbild.

Foto via Wikicommons Pressearchiv Kasseler Sparkasse