Kapitel 4: Kundenparkplatz

Auf dem Grundstück meines Bruders stand lange Zeit der letzte BMW-Siebener. In Weiß, ganz im Sinne der Domo-Corporate-Identiy, Durchschnittsverbrauch in der Stadt einundzwanzigkommazwo Liter, als Gebrauchtwagen unverkäuflich. Mein Bruder hatte ihn behalten und nicht mehr gefahren. An was sollte ihn dieser Wagen erinnern?

Ich kümmerte mich damals um den BMW, wenn es wieder eine Beule gab. Fuhr zum Händler in die Kohlenstraße. Wurde freudig begrüßt. Stolz sagte der Meister »An diesem Wagen haben wir rundum schon alles gemacht. Und man sieht nichts mehr.«

Die neueste Beule war auf dem Besucherparkplatz entstanden.Der Stammplatz meines Vaters war blockiert, der Glascontainer davor musste geleert werden. Keine Zeit zu warten, also auf den Besucherparkplatz. Unverzeihlich. Alle drei Parkbuchten mussten zu jeder Zeit freigehalten werden. Anweisung vom Chef, der nun dagegen verstieß. Die meiste Zeit stand dort sowieso niemand. Wer sollte auch zum Firmenstandort kommen? Der Domo-Außendienst kam zum Kunden, nicht der Kunde zu Domo.

Mein Vater steuerte den mittleren Besucherparkplatz an, parkte vorwärts ein. Zwei Stunden später ein Auswärtstermin. Schnell rückwärts. Genau vor den Laternenmast. Es ließ sich nicht ermitteln, wer für die Vergabe der Besucherparkplätze verantwortlich war. In der gesamten Breite des Parkstreifens gab es nur diesen einen Laternenmast. Nur ein Mitarbeiter mit sehr viel Humor konnte das gemacht haben.

Dieser stand wahrscheinlich gerade mit seinen Kollegen am Fenster und schaute auf den weißen BMW. Niemand lachte, alle warteten gespannt, was nun geschah. Mein Vater stieg aus, betrachtete den Schaden. Der Wagen war weiterhin fahrtüchtig. Er lief zum Fenster von Fräulein Schmidt, sie öffnete und bekam Instruktionen zur Schadenabwicklung. Schnell lief er zurück, stieg ein und fuhr zum Kundentermin in Richtung Autobahn A 44. Den Kunden warten zu lassen wäre eine Todsünde gewesen. Im Rückspiegel sah er kurz die Laterne, traurig schief stand sie dort. Die Mitarbeiter gingen an ihre Schreibtische zurück und erzählten die Geschichte die nächsten zwanzig Jahre. In einer Version war sogar die Stoßstange abgefallen.

Meine Fahrpraxis war bescheiden, die ersten Jahre gab es zahlreiche, selbst verschuldete Unfälle. Einmal übersah ich ein geparktes Auto, konnte nicht ausweichen und fuhr aufs Heck. Lief zur nächsten Telefonzelle an der alten Hauptpost. Rief zu Hause an, mein Vater kam umgehend zur Unfallstelle. Stieg aus dem Wagen, schaute auf ein Plakat, was hinter der Kollision aufgehängt war. Lachte, lachte, lachte. Dort stand: »Fahr' lieber mit Bus & Bahn«.

Sollte ich mein Privileg (mit dem reparierten Wagen) als Familienunternehmer-Sohn nutzen und ebenfalls mal auf den Kundenparkplatz stehen? Die Antwort war einfach: Es gab kein Privileg!