Auf unserem Messestand bei der Constructa in Hannover war eine der Schaukabinen immer verschlossen. In einer verborgenden Schublade lagerte ein Vierkantschlüssel, mit dem das Standpersonal die Tür von außen öffnen konnten.
Seit 10 Uhr war die Messe geöffnet. Jetzt, um 12 Uhr, konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten. Mir war schwindlig. Ich ruhte mich kurz auf der schmalen Bank in der Umkleidekabine aus. Der schwarze Knopf innen war drehbar, außen sprang die runde Anzeige von Weiß auf Rot. Ich saß im Modell ZF, dem Renner im Angebot. Links und recht von mit stapelweise Prospekte, unter der Bank die Notration Dosenwurst.
Traditionell hatte die Messecrew am Abend bis 1 Uhr gefeiert. Für ein paar Stunden war die Mannschaft in den Betten verschwunden, dann extrem kurzes Frühstück und wieder »der Riemen auf die Orgel geschmissen.« Diese Losung gab mein Vater aus, mit der Straßenbahn ging es zum Messeeingang. Die Hotelzimmer überteuert, Taxis mit dem Budget nicht vereinbar.
Der Chef stürmte zum Eingang, riss die Tür auf, sie glitt ihm aus der Hand, schwang zurück, erwischte seine rechte Jacketttasche – und trennte sie sauber ab. Rückfahrt zum Hotel unmöglich, nur noch sechs Minuten Zeit bis Eröffnung. Auf dem Besuchertresen wurde das verletzte Jackett zurechtgelegt, ein Streifen doppelseitiges Klebeband angebracht, die Schutzfolie abgerissen, die Tasche sauber wie bei einem Technischen Blatt positioniert und angeklebt. Sie hielt bis zu dem Moment durch, als meine Mutter die Anzüge für die Reinigung vorbereiten, die Taschen leeren wollte. Beim Abendessen zierte ihr Kleid auf der Brust eine Jacketttasche, was mein Vater selbstredend übersah. Meine Geschwister und ich konnten vor Lachen nichts essen. An der folgenden Abenden durfte jeder mal die Tasche tragen, am Schluss natürlich der Familienvater.
Die Constructa war ein voller Erfolg. Wir hatten einen Bus organisiert, der interessierte Mitarbeitende von Kassel nach Hannover bringen sollte. Die Verwaltung winkte ab, die Werker sagten zu. 70 Leute stürmten unseren Stand. Ließen sich die Modelle von uns erklären, lobten die Qualität. Dann, in derselben Halle, zum größten Konkurrenten, Kemmlit. Es gab ein Foto dieses Messestandes voller Besucher, alle hatten weiße Stoffbeutel umhängen. Darauf das neue Domo-Logo in strahlendem Rot.
Zu Weihnachten überreichte die Geschäftsführung allen Mitarbeitenden eine Visitenkarte. Fräulein Schmidt hatte höchstpersönlich die Namen Korrektur gelesen, machte natürlich keinen einzigen Fehler. Einige Standbesucher legten diese Karte nun auf den Tresen des Wettbewerbers und baten höflich um die Zusendung der neuesten Prospekte.