Kapitel 21: Corporte Identity

Der Leiter des Fuhrparks stand auf dem Hof und betrachtete einen Lkw: »Oh, da haben wir jetzt ein Problem.«

Der Leiter des Fuhrparks stand auf dem Hof und betrachtete einen Lkw: »Oh, da haben wir jetzt ein Problem.«

Der Schwiegersohn hatte das neue Erscheinungsbild gestaltet. Wer sonst, er war ja Grafiker mit eigener Agentur und kannte das Familienunternehmen durch tägliche Gespräche. Selbstverständlich wurde er beauftragt und blies frischen Wind in die Firma. Entwarf ein Logo und konnte es sogar erklären: »Eine Wort-Bild-Marke«, stilisierte Trennwände und darunter der Domo-Schriftzug.

Mein Vater hatte den Markennamen nie schützen lassen. Der lateinischen Bildung des Singular Indikativ Präsens Aktiv des Verbs domare war dieser Jahrhunderteinfall geschuldet. »Für das Haus« erklärte er mir, dem Inhaber des kleinen Latinums, sehr frei übersetzt.

Der junge Chef hatte früh versucht, die Marke zu registrieren. Der Hersteller der Domus-Schlösser legte Widerspruch ein, argumentierte mit »Verwechselungsgefahr«, drohte mit Schadenersatz und fand Gehör. Den Brief bewahrte mein Vater sorgsam auf. Zeigte ihn mir, als ich den Markenschutz empfahl. Damit war die Sache erledigt.

Veränderung war nötig, ich schrieb gerade meine Diplomarbeit über Corporate Identity. Und hatte Roman Antonoff kennengelernt, den »CI-Papst«. Nun sollte Domo auch in seinem Buch gewürdigt werden. Ganz groß rauskommen. Es stellte sich heraus, dass er in seinem jährlichen CI-Report auch nur PR-Buchartikel verkaufen wollte. Denn er nannte dafür im dritten Gespräch höflich den Komplettpreis. Mein Vater ertrug es mit Fassung. Schließlich interessierte sich der Sohn für die Firma. Da ließ man sich nicht so schnell stoppen.

Von der Grundfarbe Orange wechselte Domo auf den Rat des Schwagers ins Weiße. Und so waren auf den hellen Lkws nach einer Woche die Touren durch die Republik deutlicher sichtbar als früher: In Form von grauen Streifen auf den Planen, vor allem auf der Rückseite. Auf die jeder schaute, wenn er auf der Autobahn zum Überholen ansetzte. Der Fuhrparkleiter musste nun einmal pro Woche waschen lassen statt einmal im Monat.

Durch den weißen Grundton fühlten sich nicht nur die Lkws sauberer an, alles war heller, besser, neuer. Das Haupt-Marketinginstrument, die Architektenmappe, wechselte ebenfalls von Orange zu Weiß. Diese Mappen standen in jedem Architektenbüro in Deutschland, innen ein Register, darin eingeheftet die Produktprospekte, danach die Technischen Blätter und die aktuelle Preisliste. Der Außendienstmann, es waren weiter alles Männer, besuchten die Architekten möglichst einmal im Jahr, zogen die Mappe aus dem Regal und ersetzten einen Prospekt (und hoffentlich die Preisliste). Jetzt aber hatte er eine komplett neue Architektenmappe dabei, legte seine neue Visitenkarte auf den Tisch. Irgendwie waren seine Zähne auch weißer. Der Anzug blieb vorerst dunkel, die Krawatte auch. Vielleicht weiße Slipper?

Ich wollte eigentlich zum Film, machte Praktikum bei der Bavaria in München und wollte mein Diplom über Industriefilme schreiben. Doch beim Bavaria-Abteilungsleiter blitzte ich ab, der wollte die Reisekosten von Kassel nicht tragen. Diese Entscheidung war folgenschwer für mich, noch aus München rief ich beim Professor in Kassel an. Alle Pläne hatten sich in Luft aufgelöst. Der Professor beruhigte und schlug vor, das väterliche Unternehmen zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.

War das sein geheimer Plan? Die Familienunternehmen hießen noch mittelständische Unternehmen, die Forschung war ganz am Anfang. Er begeisterte den Jungen für das Unternehmen seines Vaters und der blickte nun als Diplomschreiber auf die Firma.

Zum Wirtschaftswissenschaften-Studium in Kassel hatte mein Vater einen wichtigen Beitrag geleistet. Und der Portier eines Pariser Hotels. Der klopfte an und bat mich ans Telefon. Mein Patron war dran: »Hier ist ein Brief von der Gesamthochschule, du hast einen Studienplatz.« – »Ah ja, okay.« – »Soll ich für dich unterschreiben?« – »Von mir aus«. Fast 20 Jahre später promovierte ich an dieser Universität – mit einer gefälschten Unterschrift bin ich aufgenommen worden. Der Betrug ist inzwischen verjährt, ich habe mich erkundigt.

Mit mir und dem Professor war mein Vater geduldiger. Der sich als Praktiker herausstellte. Ein Kollege des Professors wird später in der heimischen Presse, bei seinem Abschied von der Gesamthochschule Kassel, den ganzen Fachbereich Wirtschaft als Antwort auf seine persönliche Kränkung schlecht reden. Seine Ex-Mitarbeitende schrieben einen Leserbrief und vermuteten »Neid auf renommierte Professoren« und mein Vater schrieb auch einen: »Seit nunmehr zwei Jahren arbeiten wir im Marketing- und Managementbereich mit dem Professor und seinen Studenten hervorragend zusammen.«

Als einer diese Studenten erforschte ich die Unternehmenskultur, die Corporate Culture. Alles musste auf den Kopf gestellt werden, zumindest in meinem Kopf.

Alle Fotos wurden neu erstellt, die Schwiegertochter in spe, meine Freundin, machte das »Styling«. Vorher war in den Umkleidekabinen nichts zu sehen gewesen, jetzt hängten dort Badeanzüge am Domo-Bügel, lagen benutzte Handtücher auf der Bank, darunter unordentlich ein Paar Straßenschuhe. Vierunddreißig Jahre später traf ich den Fotografen wieder. Er erinnerte sich genau an den Tag des Shootings. Die helle Trennwandanlage stand im Herbstwald. Er lachte herzlich über diesen Einfall. Deutlich spürte ich, wie er sich als Teil dieser Veränderung gefühlt hatte. Kreativ werden konnte. Aufbruch in Weiß.