Es war sieben Uhr morgens. Mein Vater hellwach. Er hatte einen Plan im Kopf. Neben ihm schlief meine Mutter, bestimmt noch drei Stunden.
Diese drei Stunden waren Teil des Plans und gewissermaßen die Grundlage des Plans. Gestern, beim Frühstück, hatte mein Vater in der Commercial Daily von einer Baumesse gelesen. Mitten in Hongkong. Mitten im Urlaub auf den Weg nach Indonesien.
Der Unternehmer kann sein Unternehmerhirn nicht abschalten. Es gibt immer eine Gelegenheit. Das Produkt ist immer im Kopf. Jeder ist ein Kunde. Jedes Gespräch wird unmerklich auf das Produkt gelenkt. Der Bedarf erforscht. Es könnte doch sein.
Und damit hatte die Baumesse im Kopf meines Vaters einen festen Platz erobert. Immer wieder sah er die Bilder, die Messestände, die Menschen. Die potenziellen Kunden. Die ihn kennenlernen wollten. Denn er hatte sehr interessante Angebote.
Mein Vater wusste, dass der Urlaub mit meiner Mutter sehr wertvoll war. Sie ahnte zwar etwas von den Plänen in seinem Kopf. Sie kam aber nicht dagegen an. Doch sie hatte auch einen Platz dort in seinen Gehirnwindungen. Und den würde sie verteidigen. Das wusste mein Vater auch. Also war das Denken in Alternativen und Kompromissen gefragt.
Die drei morgendlichen Stunden brauchten eine virtuose Planung. Der Portier hatte bereits das Messeticket besorgt, das Taxi bestellt. Mein Vater englische Visitenkarten eingesteckt. Wie immer. Und diese extradünnen Prospekte (Fluggepäck verzeiht kein zusätzliches Gewicht!) mit der Programmübersicht ZF, NF, NFH, KA, KS dabei. Tief unten im Koffer verborgen waren sie, extra hergestellt für Übersee. Jetzt kamen sie ans Licht, jetzt kam ihre Zeit.
Wie ein Fisch im Wasser würde der Unternehmerfisch durch den Messefluss schwimmen. Er hatte nur wenig Zeit, Beute zu machen. Doch in dem Moment, wenn er einen Menschen ansprach auf einem Messestand: Dann hat er alle Zeit der Welt. Denn dieser Mensch spürte die Liebe meines Vaters zu seinen Produkten und er wollte Teil dieser Liebe sein.
Als ich fünf Jahre später Johnny in Hongkong kennenlernte, erzählt er mir von dieser außergewöhnlichen Begegnung mit meinem Vater an seinem Messestand. Liebe auf den ersten Blick. Und so wurden Anfang der 1980er-Jahre Sanitärtrennwände aus Deutschland in einer Werkshalle in Kassel-Helleböhn in einen Container gepackt und nach Hongkong verschifft. Es waren die besten Sanitärtrennwände der Welt, man musste sie einfach haben.
Um 10 Uhr war mein Vater von der Messe zurück. Meine Eltern frühstückten zusammen, genossen den Ausblick auf die Skyline. Mein Vater schlug die Tageszeitung auf, über seinem Kopf formte sich eine Gedankenblase: Gibt es in Indonesien eine Baumesse?
Foto: Wikimedia Commons Ion Tichy, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons