Kapitel 13: Home-Office

Die Firma sitzt immer mit am Tisch. So wird über Familienunternehmen berichtet. Im Alter von 12 Jahren war mir deren Platz bei uns zu Hause am Esstisch aber eher unbekannt. »Die Firma« lernte ich durch das Mitmachen kennen. Ich trug meinen Teil zum Produktivgewinn bei, Kapitalismuskritik war mir noch fremd.

Es war ganz normal, für den elterlichen Betrieb zu jobben und dafür auch entlohnt zu werden. Mein Vater produzierte Toilettenwände und Umkleidekabinen in dunklen Fabrikhallen mit schlechter Luft und schweren Maschinen. Da war ich als 12-Jähriger fehl am Platze der Produktion. Zu gefährlich oder, wie es die Personalabteilung ausdrückte: »Versicherungstechnisch nicht machbar.«

Mein Bruder und ich arbeiteten deshalb im Homeoffice, das praktischerweise am Couchtisch im Arbeitszimmer meines Vaters eingerichtet war. Unsere Aufgabe: Neun verschiedene Kunststoffplättchen in vorgezeichnete Quadrate auf einer Karte kleben. Die neun Farben der Toilettenkabinen, ich erinnere mich vor allem an Orange und Braun.

Ganz Subunternehmer, hatten mein Bruder und ich die Produktion in Arbeitsgänge zerlegt. Jede Farbe ein Arbeitsgang, die Plättchen aufgereiht auf das sogenannte doppelseitige Klebeband. Mein Bruder hatte mit Fischertechnik einen Abroller entwickelt, der unter dem Couchtisch platziert war. Auf einer Mittelachse dreht sich das Klebeband, über den niedrigen Tisch zogen wir die Bahnen und reihten die Kunststoffplättchen auf. Dazwischen winzige Lücken, um die Plättchen mittels Schere zu teilen und auf die Karten zu verfrachten.

Jede Karte wurde neun Mal zur Hand genommen. Auf den ersten Blick unpraktisch, auf den zweiten jedoch fehlerminimierend, da links oben immer orange, in der Mitte braun und so weiter. Perfekt, wenn nicht Ermüdungserscheinungen hinzukommen. Die Arbeitsschichten mussten mit den Schulzeiten von zwei Schülern synchronisiert werden, hinzu kam Druck aus dem Sekretariat meines Vaters, das Nachschub einforderte. Dies übermittelte Fräulein Schmidt durch handgeschriebene Zettel mit der Anzahl der Farbkarten und dem letztmöglichen Anlieferungstermin. Als ältestem Sohn, Zulieferer, Schichtleiter und Hilfsarbeiter in Personalunion wurde mir die Botschaft in die Hand gedrückt.

Die Mathearbeit war nicht zufriedenstellend ausgefallen, eine ganze Charge von Musterkarten aus einer Schicht litt unter Zeugnisängsten und nicht-passgenauer Platzierung im Quadrat. Einmal aufgeklebt, waren sie drauf und wanderten auf den Schreibtisch meines Vaters. Am Abend dann die Abnahme mit dem erwartbaren, lauten Hinweis auf Qualitätsmängel. Die »Kunden« (wir hatten da nur eine vage Vorstellung) würden solche eine Karte nicht akzeptieren. Alles musste von vorne produziert werden. Meine Mutter half beim Ablösen mittels scharfer Messer in dieser Sonderschicht.

Wir hatten »Ausschuss« produziert, die Karten waren nicht mehr zu gebrauchen, zum Teil auch die Kunststoffplättchen nicht mehr! Ein Desaster, für das ich verantwortlich war als der Ältere. Und somit auch in der Haftung stand. Wir waren ja Subunternehmer, bezahlt nach Stückzahl. Das Unternehmer-Gen in mir mobilisierte die Reserven. Meine Fünfmarkstück-Sammlung wurde hervorgeholt. Sie lagerte in einer Samtbox. Acht Münzen zählte ich ab und stapelte sie noch am späten Abend auf dem väterlichen Schreibtisch. Ich büßte mehr als 50 Prozent meiner Rücklagen ein, die ich Verlauf eines ganzen Jahres gebildet hatte.

Wurden Schulden an meinen Vater zurückgezahlt, kommentierte er das normalerweise mit dem Spruch: »Endlich mal wieder Einnahmen.« Zu mir: kein Kommentar. Ich erhielt die 40 Mark in Silbermünzen von meinem Vater am nächsten Tag zurück. Vielleicht hat ihm diese Geste gefallen, wer weiß.

Doch es war von mir nicht als Geste gemeint. Sondern als Verantwortung.

Meine Mutter war ebenfalls im Homeoffice tätig und packt Badetaschen als Weihnachtsgeschenke für die Kundschaft. Darin: eine Badehose (aus spanischer Produktion einer Cousine meiner Mutter), ein kleines Handtuch, Shampoo und eine Plastik-Seifenschale mit Seife. Auch in ihrem Zimmer die sorgsam eingerichtete Serienfertigung mit einer Art Fließband. Vorn die leeren Taschen, dann die Utensilien aufgereiht und am Schluss das Regal mit der Fertigware. Diese Produktion würde während des gesamten Jahres angefertigt. Seltsamerweise fehlten im Herbst in einigen gepackten Taschen die Badehosen. Der Hausdetektiv kam uns auf die Spur: Wir hatten Bedarf an trockenen Hosen gehabt, die Reißverschlüsse geöffnet, rechts und links die Badehosen mit Knoten versehen und passgenau angezogen.