Ziehen Sie eine Tagesbilanz, probieren Sie Neues aus

Homeoffice ist das Gebot dieser Tage und birgt Herausforderungen. Wie ziehe ich Grenzen? Wie bleibe ich motiviert? Dr. Andreas Knierim gibt Tipps für die Arbeit zuhause.

Fangen wir mal mit der Kleidung an: Kann ich die berühmte Jogginghose entspannt tragen?

Tragen kann ich alles. Kleidung macht etwas mit uns. Wenn Sie etwas anziehen, verbindet der Körper das mit besonderen Situationen. Im Unternehmen signalisiert der Anzug Arbeit, der Pyjama verheißt Sonntag, die Badehose Urlaub. Sie können im Homeoffice üben, wie sich Ihre Arbeitsweise verändert, sobald Sie andere Kleidung tragen, die nicht Normalität signalisiert. Nehmen wir mal an, Sie wollen neue Themen entwickeln. Tragen Sie doch dann mal ein Clown-Kostüm. 

Wie ziehe ich die Trennlinie zwischen Privatleben und Arbeit?

Nehmen Sie, wo immer es geht, eine räumliche Trennung vor. Ich bin kein Fan davon, am Ess- oder Küchentisch zu arbeiten. Dort findet Privates statt. Stellen Sie sich zum Beispiel einen Balkontisch in die Küche. Auch Rituale helfen. Legen Sie zum Beispiel vor Arbeitsbeginn Stift und Handy bereit. Stellen Sie am Laptop den Desktop um, wenn Sie ihn privat nutzen. Setzen Sie visuelle Reize, indem sie übertrieben umdekorieren. Stellen Sie etwa zum Abendessen eine Kerze auf den Tisch. Das signalisiert: Jetzt ist Feierabend.

Wie schaffe ich mir die richtige Tagesstruktur?

Fragen Sie sich: Wie viel Struktur brauche ich? Ist jeder Tag für mich gleich oder gibt es Unterschiede? Ich zum Beispiel teile meine Tage unterschiedlich ein: Dienstag bis Donnerstag ist gleich, da brauche ich viel mehr Struktur, denn ich arbeite viel. Montag fange ich später an und Freitag höre ich früher auf. Samstag und Sonntag habe ich möglichst kein Programm. Strukturen sind für mich Freiräume, die ich mir selbst gebe. Im Homeoffice habe ich viel mehr Freiheiten. 

Freiheit gewinne ich auch durch den Weg zur Arbeit, der wegfällt. Was mache ich mit der gewonnenen Zeit? 

Probieren Sie etwas Neues aus. Das kann ja auch nur zehn Minuten dauern. Machen Sie zum Beispiel Yoga oder meditieren Sie. Sie können auch länger schlafen, wenn Ihnen das nicht gleich signalisiert, es ist Wochenende.

Vieles ist ja auch eine Frage der Motivation. Die leidet im Homeoffice, haben Studien herausgefunden. 

Beim Stichwort Motivation unterscheiden wir zwischen intrinsisch (ich motiviere mich selbst) und extrinsisch (welche Anregung brauche ich von außen?). Im Homeoffice bekommen Sie nicht viel extrinsische Motivation, weil ja keiner da ist. Ich sollte mir also Ersatz-Kontakte schaffen. Über Anrufe, indem Sie Rückmeldetermine vereinbaren. Kontaktieren Sie zum Beispiel immer einen festen Kollegen 30 Minuten vor Feierabend. Dann holen Sie sich, was sonst über Gespräche im Büro selbstverständlich ist.

Wie motiviere ich mich selbst bei einem Durchhänger?

Sammeln Sie Bilder mit positiven Erinnerungen wie ein Urlaubsbild mit anderen Menschen. Gehen Sie in die Erinnerung, nehmen Sie das gute Gefühl mit. Fragen Sie sich: Wann bin ich gut in die Pötte gekommen? Schauen Sie sich zum Beispiel ein Foto von einem Museum an, und erinnern Sie sich an den Moment, als Sie sich motiviert haben, dort hinzugehen. Schreiben Sie einen Text aus einem Buch ab. Gucken Sie die Folge einer Serie. Schreiben Sie Zitate mit einem Satz, der gut für Sie ist, auf Post-it-Zettel und kleben Sie die dahin, wo Sie sich ablenken wollen. Schreiben Sie abends eine Liste Ihrer Erfolge: Was ist mir heute gut gelungen? Ganz wichtig: Formulieren Sie es positiv.

Wie behalte ich die Motivation?

Durch Raum- und Medienwechsel. Die Crux am Homeoffice ist ja, dass wir viel mehr Zeit am Bildschirm verbringen. Gehen Sie raus der Situation, ganz wichtig: ohne Handy. Spüren Sie bei einem Spaziergang, was jetzt anders ist. Ziehen Sie eine Tagesbilanz, auch mit dem Partner oder der Familie. Jede/r könnte zum Beispiel sagen, was sein Highlight war. Denken Sie an eine bestimmte Person und daran, was sie Ihnen sagen würde, um Sie zu motivieren. Tauschen Sie die Rollen, sprechen Sie aus der Perspektive dieser Person zu sich selbst.

Wie sollte der Kontakt zu den Kollegen aussehen?

Vermeintlich geht virtuell alles viel schneller, aber es ist emotional ärmer. Nehmen Sie sich Zeit. Chefs sollten sich fragen: Wie vertraue ich? Sagen Sie sich: Mein Misstrauen müssen meine Mitarbeiter sich erst einmal erarbeiten. Nehmen Sie sich bei virtuellen Konferenzen zurück. Seien Sie sparsamer mit ihren Gesten, sprechen Sie Mitarbeiter gezielt an. Hängen Sie Bilder Ihres Teams ins Büro und fragen sich: Was ist das Besondere an dieser Person? Für den Kontakt unter Kollegen gilt: Was brauchen Sie gerade, fachlichen oder emotionalen Zuspruch? Haben Sie einen Durchhänger, rufen Sie einen Kollegen an, er kann Ihnen etwas Aufmunterndes sagen. Wenn Sie ein Kollege nervt, schreiben Sie ihn per Whatsapp an. Das Kontaktniveau ist ein anderes, man kann stufenweise kommunizieren. Von Angesicht zu Angesicht geht es sonst immer volle Pulle.

Interview von Michaela Streuff in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeine vom 4. März 2021

Hören Sie dazu auch das Interview auf hr4: Kleider beeinflussen uns