Bloß keine guten Vorsätze - Coach Andreas Knierim ist gegen die ständige Selbstoptimierung

Der Jahreswechsel ist die Zeit guter Vorsätze für das Neue Jahr. Meist bleibt es bei der Absicht. Warum und was man anders machen kann, fragten wir den Kasseler Coach Andreas Knierim.

 

Herr Knierim, warum nimmt man Silvester zum Anlass für gute Vorsätze? 

ANDREAS KNIERIM: Das ist eine Gewohnheit und die ist meist mit „schlechter Gewohnheit“ verknüpft. Deshalb klappt es auch in der Regel nicht, die Vorsätze umzusetzen. 

Also bloß keine Vorsätze? 

KNIERIM: Genau. Besser ist ein Ritual: Man nimmt sich Zeit, um über eigene Ziele nachzudenken. Das muss nun wirklich nicht Silvester sein. 

Ein Beispiel: Man will weniger Süßes essen, wie soll man das umsetzen? 

KNIERIM: Weniger Süßes – Ziele sollte man positiv formulieren und sich erst fragen, wofür man das tun will. 

So bleiben, wie man ist? 

KNIERIM: Genau. Das kann man ja auf der Waage kontrollieren. Aber man sollte sich auch fragen, was dahinter steckt, welche Bedürfnisse mit dem Wunsch verbunden sind, zu bleiben, wie man ist. Anders gesagt: Man legt erst einmal den Zustand fest und formuliert dann seine Ziele. 

Das klingt alles ziemlich selbstverständlich. 

KNIERIM: Ist es aber nicht. Viele sagen, nächstes Jahr will ich länger und schneller laufen, also besser sein. Was heißt besser? Besser ist nie gut genug. Also überlege ich lieber, wie lange ich laufen will und wie schnell. Wenn ich das erreicht habe, kann ich ein neues Ziel festlegen. 

Also bewusst damit umgehen? 

KNIERIM: Ja. Kleiner Kniff: Man sollte sein Ziel dokumentieren, aufschreiben, zeichnen, ein Foto von sich machen, das über den Laufschuhen hängt. Am besten so dokumentieren, dass es nicht dem täglichen Automatismus entspricht. Wer täglich viel schreibt, sollte eine andere Form wählen, sonst fehlt die Herausforderung. 

Um den inneren Schweinehund zu überwinden? 

KNIERIM: Den sollte man einfach abschaffen, sonst kann man ihn immer verantwortlich machen, wenn man es doch mal nicht schafft. Wir sind schon selbst dafür verantwortlich, was wir tun. Und was wir lieber lassen. 

Warum befassen wir uns überhaupt ständig damit, wie wir uns optimieren? Wir halten uns in der Freizeit körperlich fit, damit der Rücken im Büro durchhält. Warum? 

KNIERIM: Die Frage lautet bei mir nicht warum, sondern wofür machen wir das? 

Damit es dem Rücken gut geht und man sich wohlfühlt.

KNIERIM: Eben. Statt sich dauernd mit der Selbstoptimierung zu befassen, sollte man lieber in bestimmten Abständen über seine Ziele nachdenken, und zwar ohne Stress. Und ohne die Smartwatch, die uns sagt, dass der Kollege wieder mehr Schritte gelaufen ist am Tag. Auch das produziert Stress. Es reicht doch, wenn ich mein Ziel kontrollieren kann. 

Braucht man nicht auch eine realistische Selbsteinschätzung für Ziele? 

KNIERIM: Genau, ich bestimme, was ich in meiner Realität erreichen kann. Dass jeder alles erreichen kann, wenn man ihm nur die richtigen Ziele vorgibt, ist Unsinn. 

Das klingt aber ein bisschen so, als lebe man nur für sich, das entspricht ja auch nicht der Realität. 

KNIERIM: Ich stelle meine Ziele immer in einem sozialen Umfeld auf. Deshalb sollte man sich auch fragen, wer davon profitiert. Der Profit kann beispielsweise schon darin liegen, dass man mit dem Partner darüber spricht. Das zeugt von Wertschätzung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Ziele erreiche. 

Wir haben über Ziele gesprochen. Was ist mit den negativen Gedanken, die sich auch nicht verdrängen lassen? 

KNIERIM: Da empfehle ich eine kleine Vorübung: Man schreibt in Ruhe auf einen Zettel, was einem an sich selbst nicht gefällt, das heißt, man wird sich darüber klar. Dann ab damit in den Ofen oder wo immer man das Papier entsorgen kann.

 

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